So
erwuchs aus zwei negativen Erlebnissen eine positive Idee. Ideen
bedürfen der Reifung und der Umsetzung! Ein Jahr später, im Frühjahr
2000 war es endlich so weit. Kinder und Jugendliche zwischen 7
und 27 Jahren wurden auf eine Zeitreise in die Welt der griechischen
Antike mitgenommen. Hier durften sie die Götterwelt kennenlernen
sowie ihren Geist (z.B.: geschichtlicher Hintergrund, griechische
Dichter, Denker und Staatsmänner, Wissenschaft..,), ihre Seelen
(z.B. Theater, Tanz, Musik, Bildende Kunst...) und ihre Körper
(z.B.: Olympiade, Massagen..., Töpfern, Flechten, Schmieden) der
schon fast vergessenen Epoche widmen.
Bald
schon wurde ihnen bewußt, wer Orpheus wirklich war. Orpheus, der
Urvater der Dichtung, den man wegen seines traumhaften Gesangs
und Leierspiels durch alle Epochen hindurch bis in die Moderne
verehrte bzw. noch verehrt. Den Sagen nach zähmte er wilde Tiere
und erhielt die Gnade der Götter allein durch seinen Gesang. Dieser
psychologisch wertvolle Stoff wurde von vielen Musikern und Dichtern
zu allen Zeiten aufgegriffen und verarbeitet. Um nur einige Beispiele
zu nennen: Monteverdis Oper Orfeo (Barock), Glucks Oper Orpheus
und Eurydike (Klassik), Offenbachs Operette Orpheus in der Unterwelt
(Romantik), Rilkes Gedicht Sonette an Orpheus (Expressionismus),
Strawinskys Ballett Orphee (Moderne). Sogar der zeitgenössische
Liedermacher Reinhard Mey schrieb witzigerweise den etwas holprigen
Liedtext: Könnt ich nur wie Orpheus singen, dem es einst gelang,
Felsen selbst zum Weinen zu bringen mit seinem Gesang. Wilde Tiere
scharten sich friedlich um ihn her; wenn er über die Saiten strich,
schwieg der Wind und das Meer." So viel zu Orpheus, dem angeblich
unbekannten griechischen Gott!
Den
geistigen Höhepunkt des Griechenlagers" bildete mit Sicherheit
der Besuch von zwei Dichterpflänzchen" (das ist der Poesiekreis
im Schillerinstitut), die Texte aus der Antike und der deutschen
Klassik, darunter Platons Höhlengleichnis und Schillers Kraniche
des Ibykus, eindrucksvoll rezitierten. Die Lagerteilnehmer lauschten
gebannt der melodisch rhythmischen Sprache ausschnittweise sogar
auf altgriechisch wobei sie sich leicht einen Homer, Perikles öder
Platon vorstellen konnten. Sie vernahmen Ausschnitte aus Homers
Doppelepos (Ilias und Odyssee), der (weltlichen) literarischen
Grundlage des Abendlandes, von der man in Schulen leider höchstens
im Lateinunterricht etwas hört.
Aber
nicht nur von den alten Griechen, sondern auch über sie, nämlich
durch die deutschen Klassiker (vor allem Schiller) erfuhren sie
viel. So berichtet Schiller beispielsweise von den Athener Staatsmännern
Solon, dessen Reform die Grundlage einer Demokratie bildete, und
Perikles, der sie weiterentwickeln konnte. Oder in indirekter Form,
wie in Schillers Arbeiten Über die ästhetische Erziehung des Menschen,
in denen u.a. die Aufgabe des Künstlers erläutert wird. Ein Künstler
darf nicht Untertan seiner Zeit werden, sondern er muß vorausdenkend über
seine Zeit hinaus wirken. Sein Schöpfergeist sollte nach Hochwertigerem
streben, als nur Spiegelbild seiner Gegenwart zu sein.
Spätestens an diesem Abend wurde jedem die hohe Bedeutung des antiken
klassischen Griechenlands klar. Diese einstige Hochkultur, die unsere
kulturellen Wurzeln bildet, birgt eine Fülle an Dichtern, Denkern/Philosophen,
Staatsmännern, Naturwissenschaftlern (Astronomie, Geometrie...) und schließlich
Künstlern in sich. Nun verstanden die Jugendlichen, warum die deutschen
Klassiker die griechische Antike als ihr Ideal" ansahen.... mehr
Es
gibt noch viele weitere Ideen, deren Verwirklichung in Jugendbünden
oder sonstigen Kreisen zu wünschen wäre. Hier legt man noch Wert
auf individuelle Ideen, deren aufklärerische und allgemeingültige
Inhalte gerne vertieft werden. Dieses Beispiel beweist 'mal wieder,
daß jeder einzelne Jugendliche wirken kann und bekanntlich besitzt
die Jugend die meisten Ideen!
Luisa
Köhler
Quelle: Neue Solidarität, Nr. 37 vom 13.09.2000 von bjfe jadu
2002